
„Wir vergessen oft, wie groß der gesellschaftliche Druck auf Männer ist, für die finanzielle Versorgung der Familie verantwortlich zu sein“, sagt Wiebke.
Kinder, Küche, Karriere #9
„Mein Mann arbeitet, weil er will, und nicht, weil er muss“
In unserer Interview-Reihe sprechen wir
regelmäßig mit Berufstätigen, die Kinder haben. Sie berichten darüber, wie sie
ihren Job und die Sorgearbeit miteinander vereinbaren, für welches Elternzeit-
und Arbeitsmodell sie und ihr Partner sich entschieden haben und was ihnen dabei
hilft, sich zu organisieren.
Wiebke ist 41 Jahre alt und Content
Creatorin, Kolumnistin und Autorin. Ihr Mann Clemens (39 Jahre alt) arbeitet bei
einer Versicherung. Die beiden leben mit ihren zwei Kindern – einer zehnjährigen
Tochter sowie einem fünfjährigen Sohn – in Wien.
WirtschaftsWoche: Wiebke, wie beginnt ihr euren
Tag?
Wiebke: Ich bin als Content Creatorin relativ
flexibel und kann meinen Tag frei gestalten. Mein Mann bringt unsere Tochter
morgens auf dem Weg ins Büro zur Schule, und unser Sohn darf etwas länger
schlafen. Meistens bin ich schon früh wach, fange dann an zu arbeiten und bereite
meinen Sohn für den Kindergarten vor, sobald er wach ist. Gegen neun Uhr bringe
ich ihn dorthin. Zum Glück müssen wir ihm keine Pausenbrote mitgeben, weil der
Kindergarten die Mahlzeiten organisiert.
In welchem Beschäftigungsverhältnis steht ihr?
Wir arbeiten
beide in Vollzeit, ich aber auch am Wochenende und an Feiertagen. In meinem Job
ist es sehr schwer, die Arbeit und das Privatleben voneinander zu trennen. Der
Vorteil ist, dass sich beides sehr gut vereinbaren lässt, weil ich mit meinem
Handy von überall aus arbeiten und auch immer wieder zwischendurch etwas erledigen
kann. Das ist ein großes Privileg. Trotzdem bemühe ich mich, den Großteil meiner
Arbeit in der Zeit zwischen neun und 16 Uhr zu schaffen.
Wie viel Nettoeinkommen habt ihr beiden gemeinsam monatlich?
Wir
verdienen zusammen monatlich mehr als 9000 Euro netto.
Wie lange werden eure Kinder durch Schule und Kindergarten betreut, während
ihr arbeitet?
Unsere Tochter ist auf einer Ganztagsschule, die geht in
der Regel bis 15:30 Uhr. Wenn mein Mann und ich einmal späte Termine haben, kann sie
bis 17:30 Uhr in der Spätbetreuung bleiben. Unseren Sohn hole ich normalerweise gegen
16 Uhr aus dem Kindergarten ab. Mein Mann nimmt unsere Tochter auf dem Heimweg mit.
Allerdings arbeiten wir danach beide noch weiter.
Welche Auswirkungen hatte diese Herangehensweise auf eure
Karrieren?
Wir können beide unseren Leidenschaften, unseren Karrieren,
nachgehen. Das funktioniert nur, weil wir beide Geld verdienen. Wir vergessen oft, wie
groß der gesellschaftliche Druck auf Männer ist, für die finanzielle Versorgung der
Familie verantwortlich zu sein. Mein Mann hat jetzt viel mehr Freiheit, seinen Job so
zu gestalten, wie er es möchte. Er arbeitet, weil er es will, und nicht, weil er es
muss. Nur so können wir uns gegenseitig unterstützen und uns den Rücken freihalten.
Habt ihr beide nach der Geburt eurer Kinder Elternzeit
genommen?
Nein, nur ich war in Elternzeit. Mein Mann hatte einen
sogenannten Papamonat, auf den Väter in Österreich in den ersten acht Wochen nach der
Geburt Anspruch haben. Ich schüttele immer den Kopf, wenn ich höre, dass Väter dafür
gelobt werden, dass sie überhaupt Elternzeit genommen haben.
Wie behaltet ihr den Überblick über eure To-Dos?
Wir sprechen
das nicht aktiv ab. Mein Mann hat mal versucht zu etablieren, dass wir uns einmal
wöchentlich absprechen, aber das haben wir nicht durchgesetzt bekommen. Wir nutzen
einen gemeinsamen Kalender, um uns zu organisieren, und versuchen auf diese Weise, den
Überblick zu behalten. Wenn einer von uns länger wegfährt, zum Beispiel für ein
Wochenende, kümmert sich derjenige, der den anderen allein lässt, darum, dass die
Wohnung aufgeräumt ist, der Kühlschrank gefüllt wird und eventuell benötigte
Unterstützung organisiert wird.
Wie viel Zeit verbringt ihr mit unbezahlter Sorgearbeit?
Morgens
sind das ein bis zwei Stunden, je nachdem wann die Kinder aufwachen. Ab 16 Uhr sind
die beiden wieder zu Hause, und sie gehen erst gegen 21:30 Uhr ins Bett. Unser
Familienleben spielt sich deshalb vor allem am Abend ab. Wir essen auch viel später
als viele andere Familien mit kleinen Kindern.
Und wie teilt ihr euch da auf? Gibt es feste Aufgaben?
Wir teilen
uns die Aufgaben bei den Kindern klar auf. Ich kümmere mich um alles, was mit dem
Kindergarten unseres Sohnes zu tun hat, während mein Mann sich um alles kümmert, was
die Schule unserer Tochter betrifft. Er geht zu Elternabenden und Elternsprechtagen
und hilft ihr bei den Hausaufgaben. Ich habe mit dem Kindergarten deutlich weniger zu
tun.
Ich koche sehr gerne und reiße diese Aufgabe deswegen nach Möglichkeit an mich und erwarte dann, dass mein Mann in dieser Zeit die Kinder bespaßt. Außerdem mache ich die Wäsche, während er sich um Versicherungen und Finanzen kümmert. Das klingt zwar nach einer traditionellen Aufteilung, aber wir haben die Aufgaben einfach nach unseren Interessen verteilt. Ich bin froh, dass er zum Beispiel das Auto in die Werkstatt bringt, weil ich darauf keine Lust hätte.
Bist du zufrieden mit eurer Organisation?
Ich bin sehr zufrieden.
Es muss nicht unbedingt alles exakt 50/50 aufgeteilt sein. Wichtiger ist, dass sich
alle in der Familie wohlfühlen. Natürlich stoßen wir immer wieder auf
Herausforderungen und müssen uns an neue Situationen anpassen. Zum Beispiel war es
eine große Veränderung, als unsere Tochter eingeschult wurde. Plötzlich kamen ganz
neue Aufgaben auf uns zu, und es hat eine Weile gedauert, bis wir uns daran gewöhnt
und alles eingespielt hatten.
War das schon immer so?
Nein. Wir sind seit zehn Jahren Eltern
und wir sind damals beide sehr unbedarft und naiv in die Elternschaft reingestolpert.
Wir wollten Eltern werden, ohne zu wissen, wie Elternschaft funktioniert. Zu der Zeit
habe ich als Assistentin der Geschäftsführung in einer Unternehmensberatung
gearbeitet. Nach der Geburt unserer Tochter bin ich zu Hause geblieben, während mein
Mann weiterhin Vollzeit gearbeitet hat. Es war für uns selbstverständlich, dass ich
danach in Teilzeit weiterarbeite, die Eingewöhnung im Kindergarten übernehme und mich
in erster Linie um die Erziehung kümmere.
Wie ging es dir damit?
Früher habe ich immer gedacht, dass ich
das Muttersein lieben werde. Aber so war es nicht. Ich habe mich in der Rolle, die mir
als Mutter zugeschrieben wurde, immer unwohler gefühlt. Zu diesem Unwohlsein kamen
dann noch Gefühle von Schuld und Scham hinzu, weil ich die Arbeit viel mehr genossen
habe als die Zeit mit meiner Tochter.
Regretting Motherhood, also das Bedauern der Mutterschaft, war damals noch ein absolutes Tabu. Ich war außerdem nicht so feministisch aufgeklärt wie heute. Themen wie Care-Arbeit, Mental Load und der Gender Pay Gap waren in der breiten Öffentlichkeit noch längst nicht so präsent wie heute. Mein Mann und ich mussten uns aus den Strukturen, in denen wir aufgewachsen und sozialisiert worden waren, mühsam befreien.
Du sprichst auch öffentlich über Regretting Motherhood. Was bedeutet
Mutterschaft für dich?
Für mich bedeutet Mutterschaft, dass ich
Verantwortung übernehmen muss, dass ich mich auf eine absolute Fremdbestimmung
einlasse und dass ich jede Entscheidung in meinem Leben zuerst darauf prüfe, wie sie
meine Kinder beeinflusst. Ich tue nichts mehr, ohne vorher darüber nachzudenken,
welche Auswirkungen es auf sie haben könnte. Das kostet mich unglaublich viel Energie
und Kapazität. Aber ich bin jetzt Mutter, und das kann ich nicht mehr ändern. Trotzdem
sehe ich meine Kinder unabhängig davon. Ich liebe sie und würde sie genauso lieben,
auch wenn sie nicht meine eigenen wären.
Bekommst du viel Negativität ab, wenn du das so offen aussprichst?
Wenn ich über das Thema Regretting Motherhood spreche, werfen mir viele
Leute vor, dass ich meine Kinder nicht liebe. Manche sagen sogar, ich sollte sie zur
Adoption freigeben, um mich von ihnen zu befreien.
Auch mein Job als Content Creatorin wird oft nicht als richtiger Beruf angesehen. Dann kommt noch dazu, dass ich offen darüber rede, meine Mutterschaft zu bereuen, und dass meine Kinder während meiner Arbeitszeit fremdbetreut werden. Viele können mit diesen Themen überhaupt nicht umgehen.
Studien zeigen, dass Frauen in heterosexuellen Partnerschaften oft einen
höheren Mental Load haben als Männer, das heißt sie übernehmen häufig kognitive
Arbeit wie das Management von Alltagsaufgaben und die Organisation der Familie und
des Haushalts. Trifft das bei dir auch zu?
Ich glaube, als Frau in
einer Partnerschaft ist es die schwierigste Aufgabe, seinem Partner beizubringen, was
Mental Load ist. Männer ziehen sich gerne aus der Verantwortung, wenn sie die Dinge,
die ihnen aufgetragen wurden, erledigt haben. Aber es geht darum, dass sie diese Dinge
erledigen, ohne dass ihre Frauen sie darauf aufmerksam machen müssen.
War es für dich schwer, in manchen Dingen die Kontrolle
abzugeben?
Nein, tatsächlich nicht. Ich kann in diesen Dingen sehr gut
für mich geradestehen. Mir ist es nicht wichtig, was mein Mann den Kindern anzieht und
ob das hinterher schön aussieht. Ich vertraue darauf, dass er mit Herausforderungen
zurechtkommen wird, und ich nicht eingreifen muss.
Gibt es denn irgendwas, was du anderen Frauen gern an die Hand geben
würdest?
Es ist wichtig, dass Paare vor der Geburt eines Kindes die
grundlegenden Fragen klären und sich nicht zehn mühsame Jahre Zeit dafür nehmen, so
wie wir. Dazu gehört, wer wie lange mit dem Kind zu Hause bleibt und wer welche
Aufgaben übernimmt.
Wenn eine Frau mit dem Kind zu Hause bleiben möchte und das für beide Partner in
Ordnung ist, sollte die Frau darauf achten, sich finanziell abzusichern. Sie sollte
von ihrem Mann ein Gehalt dafür bekommen, dass sie die gesamte Care-Arbeit übernimmt.
Dazu gehört auch eine private Altersvorsorge. Alleinerziehende Mütter sind immer noch
die Gruppe, die am stärksten von Altersarmut betroffen ist. Daher ist es essenziell,
solche Vorsorgemaßnahmen frühzeitig zu planen.
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